Andreas Koerner: Kleine Geschichte Borbecks

Die Vorgeschichte

Vor 280 Millionen Jahren gab es einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte Borbecks: die Karbonzeit. In dieser Zeit wuchsen die Wälder, aus denen später die Steinkohle entstand und zwar in verkokbarer Qualität. Menschen gab es damals noch nicht. Sie gibt es erst seit einer Million Jahren.

Die Oberfläche Borbecks wurde von den Eiszeiten modelliert. Die riesigen Gletscher aus dem Norden dehnten sich beim weitesten Vordringen über ganz Essen bis zu den südlichen Ruhrhöhen aus. Damals wurde das Emschertal modelliert und die wellige Hellweglandschaft, woraus die natürliche Gestalt Borbecks besteht. In den kalten Trockenperioden der Eiszeiten löste sich ermahlener Gesteinsstaub und sammelte sich in der Hellwegzone als Löß.

Bei Ausschachtungsarbeiten für den Essener Stadthafen im Jahre 1926 stieß ein aufmerksamer vom Stadtarchäologen Kahrs unterrichteter Erdarbeiter auf eine Feuersteinklinge und den von Feuer angekohlten Fußknochen eines Höhlenlöwen. Die nach ihrem Fundort Vogelheimer Klinge genannte Klinge ist immer noch der früheste Nachweis für die Anwesenheit von Menschen im ganzen Ruhrgebiet. Das Alter der Fundstelle wird auf 250 000 bis 280 000 Jahre geschätzt. Damals war die vorletzte Warmzeit. Die letzte brachte den Neandertaler und den Cromagnon-Menschen hervor.
Das war vor 100 000 Jahren.

Also gab es in Borbeck bereits vor dem Neandertaler Menschen. Der fruchtbare Lößboden war vor etwa 4 000 Jahren der Anlass, dass sich Wanderbauern der Bandkeramik im Borbecker Raum niederließen. Sie waren die erste sesshafte Bevölkerung. Es folgten Völker und Kulturen der Jungsteinzeit, der Bronzezeit und der Eisenzeit. Im Laufe dieser Inbesitznahme des Bodens wurden die Wälder gerodet und in Ackerland verwandelt. Darauf deuten die Ortsnamen Bochold (= Buchenholz, Buchenwald) und Bedingrade (= Rodung des Bedu).

Zurück zum Seitenanfang


Das Mittelalter

Für die erste urkundliche Erwähnung Borbecks wird das Jahr 869 angenommen. Borbeck erschien in einer Liste mit Abgaben an das Stift Essen. Borbeck gehörte schon damals zu den abgabepflichtigen Oberhöfen. Um diese Zeit wird auch die Gründung der Dionysiuskirche vermutet, da Dionysius ein typisch fränkischer Heiliger war.

Die bisher herrenlosen Wälder, Heiden usw. wurden mit der Zeit enger in die Bewirtschaftung einbezogen. Das große Waldgebiet zwischen der Altenessener Straße und der Levinstraße wurde Gemeineigentum der Borbecker Bauern, die diese Borbecker Mark genossenschaftlich nutzten. Sie trafen sich auf dem Borbecker Kirchplatz zum Hölting (= Holzberatung). Auf diesen Versammlungen wurden auch andere gemeinsame Angelegenheiten geregelt, so dass man von einer Frühform kommunaler Selbstverwaltung sprechen kann. So war schon sehr früh Borbeck-Mitte der Mittelpunkt des Siedlungsgebietes.

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts begannen die Essener Äbtissinnen, Borbeck als zweite Residenz auszubauen. Das führte dazu, dass das alte romanische Kirchlein 1339 einen vergleichsweise hohen gotischen Choranbau erhielt, damit die Fürstin mit Gefolge standesgemäß an der Messe teilnehmen konnte.

Zurück zum Seitenanfang


Das ländliche Borbeck

Betrachtet man Borbeck auf Karten vor 1850, sieht man dünn besiedeltes Land. Einige Gruppen von Häusern sieht man, die Bauerschaften. Davon gab es im Borbecker Quartier folgende: Dellwig, Vogelheim, Gerschede, Frintrop, Bedingrade, Bochold, Schönebeck, Möllhoven, Lirich und Lippern und das Kirchdorf Borbeck.

Im Unterschied zum Schloss Borbeck und den "festen Häusern" Horl, Heck, Berge, Münsterhausen, Bermen und Ripshorst waren die Bauernhöfe damals durchweg in Fachwerkbauweise errichtet. Dazu gehört auch der Steenkamp Hof, bei dem eine Balkeninschrift die Jahreszahl 1786 trägt.

Noch heute fließen einige Bäche durch das Borbecker Land. Damals wurden sie teilweise zum Betrieb von Wassermühlen genutzt, mit deren Hilfe das Korn gemahlen wurde. Zu den Mühlen gehörten künstlich angelegte Teiche, deren angesammeltes Wasser im Bedarfsfall das Mühlenrad in Schwung brachte. Außerdem wurden in den Teichen auch Fische gezüchtet. Ein letztes Zeugnis von diesen Mühlen ist das bloße Mühlengebäude Voßgätters Mühle an der Straße Möllhoven.

An der Lebensweise im ländlichen Borbeck änderte sich Jahrhunderte lang wenig. Die Reformation fasste hier nicht Fuß. Ein der Zauberei bezichtigter Reinhold Pott aus Dortmund wird 1581 "am Pranger zu Borbeck vorm Kirchhove (mit Ruten) gestrichen und des Landes verwiesen". Sonst sind aus Borbeck keine Hexenprozesse bekannt. Verschiedene Kriege brachten Soldaten ins Land, die raubten, brandschatzten und mordeten: Danach ging das Leben in der hergebrachten Weise weiter. Dazu gehörte die Borbecker Markgenossenschaft (Hölting), die erst 1835 aufgelöst wurde.

Zurück zum Seitenanfang


Das Schloss Borbeck

Das auf einen fränkischen Oberhof zurückgehende Schloss hat im Laufe der Jahrhunderte viele Veränderungen erlebt. Als ländlicher Wirtschaftsbetrieb war es dem Essener Stift abgabepflichtig. Als ein befestigtes Gebäude, das von einem Wassergraben umgeben war, bot es auch Schutz vor Überfällen.

In der Nachfolge des französischen Sonnenkönigs mit seinem Schloss Versailles wurde das Schloss von der Fürstäbtissin Franziska Christine ab 1744 weitgehend umgestaltet. Dazu gehörte auch eine Parkanlage mit Kaskaden, geometrischen Beeten, einer Insel und einer künstlichen Ruine. Unter dem späteren Besitzer Clemens Freiherr von Fürstenberg wurde dann 1842 das benachbarte Wirtschaftsgebäude errichtet. Es gilt als ein bedeutendes Beispiel des rheinischen Klassizismus. Erbaut wurde es nach den Plänen des Essener Baumeisters Heinrich Theodor Freyse.

1941 verkaufte die Familie von Fürstenberg das Schloss mit Park an die Stadt Essen. Nach dem Krieg waren zunächst darin Notwohnungen eingerichtet. Seit 1960 wurde es von einigen Ämtern genutzt wie Stadtarztstelle, Einwohnermeldeamt, Standesamt. Mit dem Umzug der Dienststellen in das neue Verwaltungsgebäude am Germaniaplatz wurden die Schlossgebäude frei für eine neue Nutzung

Nach einem gründlichen Umbau wurde im Wirtschaftsgebäude ein Bürgerzentrum eingerichtet. Seitdem ist das Schloss Borbeck aus dem kulturellen Leben Borbecks nicht mehr wegzudenken.

Zurück zum Seitenanfang


Borbeck als preußische Landgemeinde

Unter den Stürmen der Französischen Revolution und Napoleons brach das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zusammen. Das war im Jahre 1803 auch das Ende des geistlichen Fürstentums Essen. Es fiel zunächst an Preußen, dann von 1806 bis 1814 an das unter französischer Herrschaft stehende Herzogtum Berg.

In dieser Franzosenzeit wurde der "Kanton" Essen aufgeteilt in die vier "Mairien" Essen, Altenessen, Steele und Borbeck. Zur Mairie Borbeck gehörte auch die Dreibauerschaft Altendorf, Frohnhausen und Holsterhausen. Erster Maire (später Bürgermeister) von Borbeck wurde der Rentmeister auf Haus Berge Christian Joseph Philipp Leimgardt (1807 - 1823). Diese Bürgermeisterei Borbeck existierte bis zu ihrer Eingemeindung nach Essen im Jahre 1915. Auf Leimgardt folgten als Bürgermeister Ludwig Stock (1823 - 1840), Hermann Péan (1840 - 1868), Wilhelm Faehre (1868 - 1869), Carl Kruft (1869 - 1881), Rudolf Heinrich (1881 - 1907) und Ferdinand Baasel (1907 - 1915).

Als preußische Landgemeinde wurde Borbeck von einem Bürgermeister regiert, der auf Vorschlag des Landrats von der königlichen Regierung ernannt wurde. Ihm zur Seite standen - zunächst ehrenamtliche - Beigeordnete, wozu sich beispielsweise der Direktor der Phönixhütte Friedrich Lange (1837 - 1918) und der Direktor der Zinkhütte Erivan Weynen (1835 - 1896) oder der Gutsbesitzer Heinrich Kirchmann (1838 - 1914) bereit fanden. Die Bürgermeister mussten ihre Pläne vom Gemeinderat gutheißen lassen, der auf folgende Weise zustande kam: Rund die Hälfte waren automatisch im Rat, weil sie mehr als 150 Mark Grund- und Gebäudesteuer zahlten. Das waren die "Meistbegüterten" oder "Meistbeerbten". Der Rest wurde nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht, einem "Geldsackwahlrecht", gewählt, das noch einmal die besitzenden Bürger begünstigte. Dazu meinte der letzte Borbecker Bürgermeister Baasel am 8.11.1909: "Solange die Meistbegüterten im hiesigen Gemeinderat die Mehrheit haben ... wird manche wünschenswerte Reform nicht durchgeführt werden können."

Zurück zum Seitenanfang


Kohle, Dampf und Eisenbahn

Am südlichen Rand von Borbeck (Sälzer Ak, Hagenbeck, Schölerpad) wurde schon lange vor 1800 nach Kohle gegraben. Am westlichen wurde Raseneisenerz gefunden und mit Hilfe von Holzkohle und Wasserkraft verhüttet.

Die Eisenverhüttung begann mit der Anthonyhütte 1758 in Osterfeld, es folgte die Hütte Gute Hoffnung 1782 in Sterkrade und am Schluss kam noch hinzu die auf Geheiß von Fürstäbtissin Maria Kunigunde errichtete Eisenhütte Neu-Essen 1791 in Lippern, also auf Borbecker Gebiet.

In dieser eher handwerklichen Anfänge kam neuer Schwung durch das Aufkommen der Dampfmaschinen. Erstmals wurde sie 1809 eingesetzt in der Zeche Sälzer und Neuack als Wasserhaltungs- und Fördermaschine. Der Ruhrorter Kaufmann Franz Haniel setzte sie selbstverständlich auch ein, als er 1832 anfing, in Schönebeck den ersten Tiefbauschacht abteufen zu lassen, der die wasserführende Mergelschicht durchdrang: Schacht Franz. In der Folge werden eine ganze Reihe weiterer Schächte abgeteuft: 1837 Kronprinz, 1838 Wolfsbank I, 1840 Vereinigte Helene und Amalie, 1841 Lorchen, 1846 Carolus Magnus usw.

Diese neuen Kohlenbergwerke zogen auch andere Industrien an, die die Kohle verwerten konnten, zumal die geförderte Esskohle verkokbar war. So entstand seit 1846 die Zinkhütte. An der späteren Friedrich-Lange-Straße begann ab 1851 die Verhüttung von Eisen mittels Koks (später Phoenix-Hütte). Das war der erste erfolgreiche Kokshochofen im Ruhrgebiet. Sehr wichtig wurde auch der Bau der Eisenbahn. 1847 fuhr die erste Eisenbahn durchs Ruhrgebiet. Die damals private Köln-Mindener Eisenbahn errichtete zwei Bahnhöfe auf dem Gebiet der Bürgermeisterei Borbeck: Oberhausen und Berge-Borbeck. Es folgten eine Reihe von Anschlussgleisen zu den verschiedenen Zechen und Hütten. Durch die Eisenbahn wurde die Absetzbarkeit der Kohle und des Eisens und der Antransport der Erze und Zuschlagstoffe wesentlich erleichtert.

Diese Industrialisierung konnte natürlich nicht von Borbeckern allein finanziert werden. Kapital kam von auswärts, zum Teil sogar aus dem Ausland. Die Borbecker Bauern verkauften ihr Land an die auswärtigen Unternehmer zu meist guten Preisen. Einige entdeckten daraufhin eine neue Beschäftigung: Sie veranstalteten bei Bauer Schepmann in Dellwig Pferderennen. Andere waren unternehmender und errichteten Ringofenziegeleien. Sie verbrannten mit Hilfe der Steinkohle aus dem Karbon den eiszeitlichen Lößlehm, der so lange Getreide getragen hatte, zu Ziegeln mittlerer Qualität. Ziegel wurden ja jetzt gebraucht für Industriebauten, Zechenkolonien, Kirchen und Schulen. Es kamen auch Bauunternehmen auf wie Pothmann, Poetters und Engels.


Zurück zum Seitenanfang

Zwischen Gutehoffnungshütte und Krupp

Im Jahre 1808 wurden im Westen von Borbeck die Hütten Anthony, Gute Hoffnung und Neu-Essen zur späteren Gutehoffnungshütte zusammengefasst. 1812 wurde im Osten von Borbeck von Friedrich Krupp an einer Walkmühle eine Stahlschmelze mit Hammerwerk eingerichtet.

Aus diesen kleinen Anfängen entwickelten sich in den nächsten Jahrzehnten riesige Fabrikanlagen, die Menschen, Kapital und Macht anziehen, denen das Kirchdorf Borbeck wenig entgegenzusetzen hatte.

Um die Gutehoffnungshütte und den Bahnhof Oberhausen bildete sich auf der Lipperheide die neue Stadt Oberhausen. Dazu musste die Bürgermeisterei 1861 die Bauerschaften Lirich und Lippern abgeben. 1874 wurden die zu Krupp "gehörenden" Bauerschaften Altendorf, Frohnhausen und Holsterhausen abgetrennt. Als 1915 Borbeck nach Essen eingemeindet wurde, bekam Oberhausen noch große Stücke von Frintrop und Dellwig. Wie Altenessen beantragte Borbeck die Verleihung der Stadtrechte. Der Antrag wurde abgelehnt. So fiel Borbeck stärkeren Kräften zum Opfer.

Zurück zum Seitenanfang

Man brauchte Arbeitskräfte - es kamen Menschen

Ganz ungehindert von Bebauungsplänen setzten die verschiedenen Unternehmer ihre Zechenanlagen in die Landschaft. Außerdem brauchten sie Arbeitskräfte, mehr als in den umliegenden Bauernhöfen abkömmlich waren. So kam es, dass viele Menschen von auswärts nach Borbeck kamen. Die Einwohnerzahl Borbecks stieg beispielsweise von 8 971 im Jahre 1850 auf 17 154 im Jahre 1860. Zur Zeit der Eingemeindung nach Essen (1915) hatte Borbeck trotz aller Abtrennungen 71 580 Einwohner.

Die Schwierigkeiten heutzutage mit Aussiedlern, Übersiedlern und Asylanten sind vergleichsweise klein. Damals schilderte man es so: "Scharenweise und ohne Unterbrechung wandern aus aller Herren Länder Menschen ein, die in der Regel dauernd und selten nur vorübergehend ihren Aufenthalt mit oder ohne Familie hier nehmen. Fast alle Nationen finden sich hier, angelockt durch den schönen Verdienst. Alle Häuser sind bis unter die Dächer voll gleich Kasernen. Da der Zuwachs aus nichts als aus armen Leuten besteht, ist er höchst beunruhigend, besonders beim Eintritt schlechter Wirtschaftslage."

Die damalige Steuergesetzgebung war für Unternehmer sehr günstig: Die Gewinne wurden nicht versteuert, Lohnnebenkosten in Form von Sozialversicherung gab es zunächst nur auf freiwilliger Basis. Die Borbecker Gemeindeleitung sah mehr die Nachteile: "Die Inhaber der hiesigen Zechen, Hütten, Fabriken, Eisenbahnhöfe und Koksanstalten sind alles auswärts wohnende Personen und ausländische Aktiengesellschaften, die zu den Armenkommunallasten der Schul- und Kirchenbedürfnissen nicht das geringste leisten und ihre Arbeiter bei Rückgang der Konjunktur erbarmungslos entlassen. Während die Industriellen den schönsten Gewinn von ihren Werken einsäckeln, geht hier der an der Scholle klebende Landmann zugrunde, da er allein die Steuerlast der Gemeinde zu tragen hat."

Trotz allen Gewinnstrebens gab es auch von Unternehmern Bemühungen um die Arbeiter, auch wenn sie nicht als reine Zeichen von Nächstenliebe zu sehen sind. Es wurden Zechenkolonien gebaut und Krankenversicherungen eingerichtet. Das reichte natürlich nicht aus. Die Gemeindekasse wurde vom Gemeinderat kontrolliert, der sich aufgrund der Zusammensetzung auch wenig für die Neubürger verantwortlich fühlte.

Zurück zum Seitenanfang

Die Entfaltung der Kirchen

Die antikatholische Haltung des protestantischen Preußen hatte im katholischen Rheinland zu den verstärkten Bemühungen der katholischen Kirche beigetragen.

Es wurde eine Reihe von Vereinen gegründet, die auch in Borbeck Anklang fanden: 1855 der Borromäusbüchereiverein, 1860 der Kolpingverein, 1861 der Knappenverein usw. (Vom Knappenverein stammt auch die 1911 an der Dionysiuskirche errichtete Grotte.) Im Haus Berge richteten die Schwestern der hl. Elisabeth 1867 das erste Krankenhaus ein. 1891 wurde der Grundstein zum Krankenhaus Philippusstift gelegt. In Anpassung an die Bevölkerungsentwicklung entstanden 1858 in Lirich, 1868 in Bergeborbeck, 1877 in Frintrop die ersten Filialkirchen von Dionysius. Sie selbst wurde 1862 durch einen größeren Neubau ersetzt. In allen Filialkirchen wurden eigene kirchliche Vereine gegründet. Nach der Reichsgründung 1871 bekam der Katholizismus mit dem Zentrum auch eine politische Partei. Sie erhielt in Borbeck bis 1933 stets die meisten Stimmen.

Mit der Industrie kamen auch evangelische Arbeiter nach Borbeck, für die schon 1845 eine erste Schule eingerichtet wurde. 1864 konnte mit der Matthäuskirche die erste evangelische Kirche in Borbeck eingeweiht werden. Sie folgte mit kirchlichen Vereinen und Filialkirchen dem katholischen Vorbild. 1894 wurde das evangelische Krankenhaus Bethesda eingeweiht.

Zurück zum Seitenanfang

Die Borbecker Arbeitskämpfe

Während es in Borbeck zur Revolution von 1848 ruhig blieb, beteiligten sich die Borbecker Bergleute später an den großen Bergarbeiterstreiks.

Sie fanden 1872, 1889, 1905 und 1912 statt. Sie wurden geführt, um die soziale Lage zu verbessern - ohne Erfolg. Die gut organisierten Zechenleitungen lehnten stets jegliche Verhandlungen mit den Streikkomitees ab. Eine gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter wurde vom Staat nicht genehmigt.

Die Sozialdemokraten hatten es schwer, überhaupt in Borbeck Fuß zu fassen. Der Borbecker Ortsverein wurde erst 1901 gegründet. Aus diesen Anfangsjahren der SPD wird man den kernigen Schnurrbartträger Adalbert Kühnhold im Gedächtnis behalten. Er war auch im Arbeiterradfahrerverein "Solidarität" aktiv. Nach ihm wurde 1959 eine Straße benannt.

Zurück zum Seitenanfang

Das Wilhelminische Borbeck

Wenn man alte Postkarten von Borbeck von der Jahrhundertwende betrachtet, sieht man eine im Kern von Borbeck ein Bebauung ganz im wilhelminischen Baustil. Dazu trugen die für die damaligen Verhältnisse großen und modernen Geschäftshäuser bei, die - besonders von jüdischen Familien - rund um den Markt errichtet wurden. Das war ein wichtiger Schritt zum heutigen "Mittelzentrum" Borbeck.

Die Gemeinde griff für prestigeträchtige Bauten tief in die Tasche: 1879 für das Amtsgericht, 1900 für das Gymnasium, 1913 für das Lyzeum. Immerhin wurde 1883 auch ein Armenhaus gebaut - in der Armstraße. Damit bin ich bei den vielen einsilbigen Straßennamen in Borbeck. Der Bürgermeister Rudolf Heinrich hat sich damit ein Denkmal besonderer Art errichtet. Beim Beginn der Straßenbenennungen 1891 war die Straßenbauung so locker, dass es die Orientierung erleichterte, auf den Hausnummernschildern auch den ganzen Straßennamen hinzusetzen. Dafür eigneten sich besonders kurze Namen.

Im Jahre 1906 wurde in Essen die Königliche Kanalbaudirektion gegründet. Sie hatte den Auftrag, den 38 km langen Rhein-Herne-Kanal zu bauen. Am 17. Juli 1914 wurde er in Betrieb genommen. Seit seiner Entstehung waren Krupp und Essen stark an einem Anschluss an den Kanal interessiert. Daher wurden 1915 Altenessen und Borbeck eingemeindet, zumal Borbeck nicht bereit war, mal wieder ein Stück abzutreten.

Zurück zum Seitenanfang

Die Zeit der Weltkriege

Zum Zeitpunkt der Eingemeindung war der Erste Weltkrieg bereits in vollem Gange. Bis April 1915 waren bereits 300 Borbecker gefallen. Nahrungsmittel und Rohstoffe wurden bereits knapp. Frauen mussten als Arbeitskräfte an vielen Stellen die Männer ersetzen. Die mühsam erkämpften Arbeitsschutzrechte waren aufgehoben. Je länger der Krieg dauerte, desto schlechter wurde die Lage.

Mit dem Ende des Krieges musste die unter Hochdruck laufende Kriegsproduktion eingestellt werden. Auf Geheiß der Siegermächte wurden 43 % der Arbeitsmaschinen bei Krupp zerstört. Krupp begann mit der Herstellung von Lokomotiven und Lastautos. Nach Ausbau des Krupp-Hafens am Rhein-Herne-Kanal wurde in Vogelheim das Kruppsche Hochofenwerk errichtet: 1917 Martinwerk, 1922 Walzwerk, 1929 Hochöfen.

Bei Kriegsende herrschte Unterernährung, Tuberkulose und hohe Säuglingssterblichkeit. Ab 1920 verteilten amerikanische Quäker und die "Holländische Hilfe für das Deutsche Kind" viele Mahlzeiten an Essener Kinder.

Der Kapp-Putsch forderte auch in Borbeck Todesopfer. Am 7. April 1920 wurden von Freikorps-Soldaten die Borbecker Bergleute Hermann Riesner und Friedrich Lichtenauer am Fliegenbusch ermordet.

Am 11. Januar 1923 besetzten französisch-belgische Truppen das Ruhrgebiet. Mit diesem Zwangsmittel wollten sie Reparationen für Kriegsschäden eintreiben. Es herrschte Belagerungszustand. Franz Wüstenhöfer, der Generaldirektor der Bergwerksgesellschaft "König Wilhelm", wurde mit anderen Wirtschaftsführern verhaftet. Walter Knieling, ein erfolgreicher Bergeborbecker Turner, durchbrach heimlich die Absperrung. Er schwamm nachts mit der Vereinsfahne um den Bauch durch die Ruhr und brachte sie stolz zum Deutschen Turnfest nach München.

In den 20er und 30er Jahren entstanden eine Reihe von Siedlungen, die noch für das heutige Borbeck charakteristisch sind, zum Beispiel 1926 an der Matthäuskirchstraße, 1927/28 an der Stolbergstraße (Krupp), 1938 an der Flurstraße (Krupp) und 1939 die Gimkenhofsiedlung.

1923 schloss die Phoenixhütte, 1926 / 1930 der Sammelbahnhof Frintrop, 1927 die Borbecker Maschinenfabrik, 1931 stellte die Zinkhütte ihre Produktion fast ein. Die Zahl der Arbeitslosen und Wohlfahrtsempfänger stieg ständig.

Diese schlechte Wirtschaftslage konnten die Nationalsozialisten in Borbeck nicht in große Wahlerfolge ummünzen. Ihren größten Wahlerfolg errangen sie am 12.3.1933 zu den Stadtverordnetenwahlen. Sie erhielten in Borbeck 28,7 % der Stimmen. Das Zentrum 41,6 %.

Nach der Machtübernahme gingen die Nationalsozialisten brutal und rücksichtslos mit ihren Gegnern um. Widerstandskämpfer und Opfer kamen aus den Reihen der Borbecker Kommunisten, Sozialdemokraten und der Kirchen. Die sogenannte Reichskristallnacht am 9. November 1938 fand auch in Borbeck statt. Die jüdischen Geschäfte rund um den Markt wurden mutwillig zerstört, die jüdischen Mitbürger bedroht. Zahlreiche jüdische Borbecker wurden in der folgenden Zeit ermordet.

Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges waren noch größer als die des Ersten. Bei einem Großangriff der alliierten Luftstreitkräfte am 12.3.1943 beispielsweise starben in Borbeck 150 Menschen, darunter 82 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Diese durften nicht in Bunkern Schutz suchen.

Zurück zum Seitenanfang

Von 1945 bis heute

Bei Kriegsende waren 45 % der Gebäude in Borbeck total oder schwer beschädigt. Es herrschten Wohnungsnot, Mangel an Heizmaterial, Nahrungsmitteln, allen Dingen des täglichen Bedarfs. Die Stadtteile Bedingrade, Bergeborbeck, Bochold, Borbeck, Dellwig, Frintrop, Gerschede und Schönebeck bildeten einen eigenen Stadtbezirk, dessen Parlament heute die Bezirksvertretung ist. Sie ist in gewisser Weise eine Fortsetzung des Borbecker Gemeinderats. Als Bezirksbeirat trat sie am 17. April 1946 erstmals zusammen. 1949 gründete Wilhelm Wimmer die Borbecker Nachrichten. Diese qualitätvolle Wochenendzeitung bildet seitdem eine Säule der Borbecker Identität.

Zusätzlich zu den Belastungen durch die Zerstörungen des Krieges kam für Borbeck die Demontage des Kruppschen Hüttenwerks. Von 1946 bis 1949 waren Tausende von Krupparbeitern beschäftigt, ihre Arbeitsplätze abzubauen. Alles wurde in die Sowjetunion verschickt.

Aber die Kohlenbergwerke waren noch da. Man warb mit sicheren Arbeitsplätzen und guter Bezahlung. Viele Neubergleute kamen. Doch dann folgten Absatzprobleme. 1966 wurden die letzten Borbecker Zechen Wolfsbank II und Christian Levin geschlossen.

Die seit 1958 auf dem Gelände der demontierten Kruppschen Hütte errichtete Rennanlage kam nie richtig in Schwung. Die Zinkhütte stellte am 28.3.1968 die Zinkverhüttung und am 12.1.1972 die Schwefelproduktion ein. Daher griffen die Essener Stadtväter begeistert zu, als sich die Chance bot, auf dem Kruppschen Gelände eine Aluminiumhütte zu errichten. Am 18.4.1969 wurde dazu der Grundstein gelegt.

Kein Wort wurde an diesem Tag verloren über die durch die Aluminiumhütte kommende Luftverschmutzung Dabei wurde bereits am 31.1.1962 in Dellwig die "Interessengemeinschaft gegen Luftverschmutzung e.V." gegründet. Der erste Vorsitzende war der Arzt Clemens Schmeck. Das war die erste Umweltinitiative in der Bundesrepublik. Die Borbecker ließen sich nicht mehr jede Art von Umweltzerstörung gefallen. Der Plan einer Autobahn durchs Hexbachtal brachte die Bürger ebenso auf die Barrikaden wie die Gefahr der Vernichtung des Panzerbauwaldes. Seit 1986 kämpften alte und neue Bürgerinitiativen gegen die geplante Giftmüllverbrennung im Stadthafen. Sogar 100 Borbecker Ärzte haben einen Aufruf dagegen veröffentlicht.

Auch der Abriss alter Gebäude wurde auch nicht mehr schweigend hingenommen. So wurde das Gebäude von Voßgätters Mühle gerettet. Für die Erhaltung des Steenkamp Hofs wurde der Kulturhistorische Verein gegründet. Er renovierte das 200 Jahre alte Bauernhaus und nutzt es als Begegnungsstätte.

Bei der Bebauungsplanung des Zinkhüttengeländes hatte man nicht an Umweltprobleme gedacht. Der Häuserbau war bereits in vollem Gange als 1986 bekannt wurde, dass gefährliches Gift im Boden steckte.

Für 1981 war eine Bundesgartenschau in Borbeck vorgesehen. Nach einem nüchternen Vergleich der Kosten mit dem Nutzen wurde eine Alternative entwickelt: Begrünung des Essener Nordens. Die Residenzaue, das ehemalige Ziegeleigelände an der Münstermannstraße, der Streifen parallel zur Bahn am Bahnhof Borbeck gehören zu den neuentstandenen Grünflächen. Die Renaturierung des kanalisierten Läppkesmühlenbachs, die Erschließung des ehemaligen Verschiebebahnhofs Frintrop als Ruderalpark setzten neue positive Akzente.

Das alte Borbeck ist fast vollständig verschwunden. Ein großer Teil wurde durch Bomben zerstört. Vieles andere folgte später. Es wurde auch viel Neues errichtet: zwei Realschulen, das Mädchengymnasium, das Hallenbad, einige Kirchen, die neue Polizeiwache, das neue Bethestakrankenhaus. Besonders stark veränderte sich Borbeck-Mitte. Hier wurde eine förmliche Sanierung durchgeführt, die nicht alle überzeugt hat. Wenn man die Geschichte kennt, weiß man, dass die Zukunft stets voll Überraschungen steckt - hoffentlich erfreuliche.

Zurück zum Seitenanfang

(Überarbeitete Fassung von 2003)